Am 15.09.2025 fand im Haus Rissen eine Abendveranstaltung zum Thema „Jüdisches Leben und Antisemitismus “ statt. In Deutschland leben knapp unter 200.000 Jüdinnen und Juden, so dass die jüdische Community in der Bundesrepublik die drittgrößte Europas ist.
Nach den Anschlägen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 kam es zu einem deutlichen Anstieg antisemitischer Übergriffe in Deutschland, und längst kommen die Täter nicht mehr ausschließlich aus rechtsextremen Kreisen.
Wie sicher fühlen sich jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger mittlerweile in Hamburg, welchen Austausch gibt es mit jüdischen Einrichtungen und Gemeinden und wie wird jüdische Identität im Jahr 2025, auch in Hinblick auf die hochkomplexen sicherheitspolitischen Gemengelagen, gelebt?
Gäste des HAUS RISSEN
Auf dem Podium saßen Shlomo Bistritzky, Rabbiner der jüdisch-orthodoxen Synagoge „Hohe Weide“, Wiebke Schirrow, die Leiterin des Joseph-Carlebach-Bildungshauses, allgemein bekannt als Jüdische Schule im Hamburger Grindelviertel. Neben diesen beiden wichtigen Stimmen jüdischer Identität in Hamburg, rundete Marione Ingram das Podium ab.
Frau Ingram erlebte als Kind den Holocaust und die Deportation jüdischer Menschen aus Hamburg in die Vernichtungslager in Osteuropa und setzt sich seither als Aktivisten für Frieden und gegen Diskriminierung ein. Moderiert wurde die Veranstaltung von Alexandra Bahr, die selbst als Referentin für politische Jugendbildung im HAUS RISSEN tätig ist.
Komplexität und Verständniswille
Alle drei Panelgäste warben für ein Verständnis der Komplexität des Konfliktes in Gaza, dem reflektierten Umgang mit deutscher Verantwortung und dem notwendigen Einfühlungsvermögen für verschiedene Lebensrealitäten. Rabbiner Bistritzky thematisierte die Schwierigkeit, dass jüdischer Glaube in Deutschland mit dem Handeln des Staates Israel gleichgesetzt werde.
Frau Ingram berichtete über ihre persönliche Geschichte, über die Erfahrung eine Kindheit geprägt durch Krieg, Abwertung, Verfolgung und Angst erlebt zu haben, zuerst in der NS-Zeit, aber auch darüber hinaus im Deutschland der Nachkriegszeit. Außerdem berichtete Sie über ihr Leben als Friedensaktivistin in den Vereinigten Staaten.
Wiebke Schirrow sprach über die Bedeutung aktiven und vielfältigen jüdischen Lebens, und bedauerte, dass mit dem aktuellen Fokus auf den Israel-Gaza-Konflikt und antisemitischen Anfeindungen in diesem Kontext, das andere große Problem für jüdisches Leben – nämlich Antisemitismus von rechtsextremen Akteuren – nicht genug benannt und beleuchtet würde.
Trotz dreier sehr verschiedener Standpunkte einte der Wille zum Austausch und Dialog unsere drei Gäste. Gemeinsam appellierten sie dafür Vorurteile, Hemmungen und Missverständnisse durch echte Begegnungen aus dem Weg zu räumen.
Aufstehen und wirksam werden
Das Publikum beteiligte sich wieder rege mit klugen Fragen an das Podium und appellierte immer wieder an die individuelle Verantwortung jedes einzelnen. Die abschließende Frage einer Lehrkraft einer Stadtteilschule, die mit ihrer Klasse anwesend war, ging an Marione Ingram: „Was können Sie meinen Schülerinnen und Schülern und allen Leuten hier mitgeben?“ Bessere Abschlussworte als ihre Antwort hätten wir uns nicht wünschen können.
Der folgende Appell von Frau Ingram an den Saal: Empathisch zu sein und auch so zu handeln, sich gegen jede Form von Ausgrenzung zu stellen und diese zu protestieren und sich mit Benachteiligten zu solidarisieren. Gesten der Menschlichkeit, die gerade in dieser Zeit besonders wichtig sind.